Wie es gelingt nach der Krise anders zu leben!
Liebe Krise,
bitte verändere mich. Ich möchte nicht zurück verfallen in mein altes, früheres Leben. In Muster und Gewohnheiten. Ich möchte nicht mehr einsteigen in das Hamsterrad des Alltags. Ich möchte anders leben, wenn wir dich überstanden haben. Schritt für Schritt. Monat für Monat. Bewusster, genügsamer, zufriedener, glücklicher.
1. Zeit bewusst erleben
Zeit. Sie hat für mich in der Krise eine neue Bedeutung bekommen. Ich wurde heraus katapultiert aus dem Hamsterrad des Alltags. Aus meinem strikt getakteten, perfekt organisierten Leben. In dem ein Termin den nächsten jagte, die Staffel übergab. Wie in einem niemals endenden Dauerlauf. Und dann war da auf einmal Stille, Ruhe, Zeit. Zum Nachdenken, zum Reflektieren, zum neu Sortieren. Was ich für wichtig hielt, wurde nichtig. Was ich für gesetzt hielt, geriet ins Wanken und zerbröselte. Ich möchte meine Zeit nach der Krise anders gestalten. Ich werde Prioritäten setzen. Mein Terminkalender wird keine offene Türe mehr haben. Sondern eine Klingel. Ich werde Termine genau prüfen, bevor sie in meinen Terminkalender spazieren und mein Leben verplanen, verstopfen. Ich werde Räume frei halten. Für mich, für die Dinge, die ich gerne mache und die mir gut tun. Räume, in denen Leben geschehen kann.
2. Kleine Dinge wertschätzen
Eine Tasse Kaffee, der blühende Klatschmohn mit seinen zarten, transparenten, glühend roten Blättern, ein Stück Schokolade, das auf der Zunge zerschmilzt – cremig und weich. Ein warmes Bad, duftend nach Orange und frischer Minze. Ein Lächeln – echt, natürlich, umarmend. All diese Dinge habe ich oft nicht gesehen. Weil mich die Hektik, die Hetze blind gemacht hat. Mich rennen hat lassen. Mit Scheuklappen. Weil sie die Schönheiten des Alltags abgeschirmt hat. Ich möchte jetzt mit offenen Augen durch die Welt gehen. Einen Blick haben für diese kleinen Dinge, die meinen Alltag erhellen, die ihn besonders machen. Die das Leben bunt machen. Mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Weil es kleine Wunder sind.
3. Persönliche Begegnungen pflegen
Ein Videobild, das hängt und hackt. Das Gesicht, das verpixelt ist. Die Augen viereckig. Der Kopf, der schräg über dem Hals hängt. Die Stimme blechern, stockend, stotternd. Roboterartig. Ein „Hallo hörst du mich?“, „Kannst du mich sehen“, „Du musst deinen Ton einschalten“ oder „Die Verbindung ist schlecht“. So laufen sie ab, die Gespräche über Skype, Zoom, Webex, facetime. Sie haben es möglich gemacht, die Eltern zu sehen, die Freundin, die 500 km weit weg wohnt, die Oma, die in Isolation leben muss. Sie haben uns in dieser Krise sozial gerettet, aufgefangen. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig diese Technik ist. Wie sehr sie uns in dieser Pandemie unterstützt und geholfen hat. Wie sehr sie unser Leben erleichtert hat. Dafür bin ich dankbar. Und trotzdem ist mein Bedürfnis an Video-Telefonie für die nächsten Jahre gestillt. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig persönliche Begegnungen sind. Ich sehne mich nach echten Gesichtern, menschlichen Stimmen, unverzögerten Reaktionen. Wie oft bin ich nach der Arbeit zu einer Verabredung mit Freunden gehetzt. Im Kopf bereits den nächsten Termin. In Gedanken weit weg, die Ohren nicht offen, die Sätze leer, das Herz nicht dabei. Ich möchte mich von nun an bewusst mit Freunden treffen. Vielleicht seltener, dafür intensiver, länger. Möchte mir Zeit nehmen, möchte zuhören, mitdenken. Lachen, genießen, mich freuen. Ich bin dankbar dafür, dass ich so tolle Freunde habe, die immer für mich da sind, mit denen ich wunderbare Dinge erleben darf, die mich auf meinem Lebensweg begleiten.
4. Für Familie und Freunde da sein
Langes Sitzen, oberflächliche Gespräche mit der Schwägerin, altbackene, gefühlt millionenfach erzählte Geschichten von „Ommi“. Wie oft ich diese Familientreffen gemieden habe. Oder die Treffen mit dieser einen Freundin, bei denen ich nach zwei Stunden meinem Mann eine Nachricht schrieb, er solle mich anrufen, damit ich endlich einen Grund hatte, das Gespräch zu beenden. Weil diese Freundin immer von ihren Kindern erzählte. Davon, wie viele Zähne im Mund stehen, welche Konsistenz der Windelinhalt hat, welchen überdurchschnittlichen IQ sie besitzen, wie viele rote Punkte bei den Windpocken explodierten. All diese Begegnungen fielen auf einmal weg. Und plötzlich fing ich an, diese Menschen zu vermissen. Zukünftig werde ich mich auf diese Treffen freuen, weil ich verstanden habe, dass sie von heute auf morgen für immer vorbei sein können. Sie sind zur Gewohnheit geworden. Ich habe verlernt sie zu schätzen. Aber sie sind etwas Besonderes, nicht selbstverständlich. Ich möchte mir bewusst werden, wie sehr ich diese Menschen schätze. Ich akzeptiere, dass alle Menschen ihre Stärken und Schwächen haben. Und dass auch ich manchmal nervtötend sein kann. Ich kann niemanden verändern, aber ich kann meine Einstellung ändern.
5. Die Freiheit genießen
Zu Hause sein, die Wohnung nur mit triftigem Grund verlassen dürfen, sich nicht frei bewegen können. Eingeschränkt sein, nicht selbst entscheiden dürfen, sich Vorschriften machen lassen müssen.
Eine neue Erfahrung. Ein neues Gefühl. Beklemmend, bedrückend, eingrenzend. Plötzlich war da eine Ahnung davon, wie es ist, unfrei zu sein, gefangen, fremdbestimmt.
Freiheit war für mich ein leerer Begriff, eine leere Hülle. Weil die Freiheit für mich immer gesetzt war. Weil Freiheit für mich immer da war. Ich lebe seit meiner Geburt in ihr und mit ihr. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ist, sie nicht mehr zu haben. Ich musste nie um sie kämpfen. Sie nie aufgegeben.
Jetzt habe ich zu diesem Begriff eine Beziehung aufgebaut. Ich schätze es, frei zu sein, frei zu leben, selbstbestimmt zu sein. Immer, wenn ich mich ins Auto setze, um kurz etwas zu besorgen. Bei jedem Spaziergang. Bei jedem Kurztrip. Bei jedem Urlaub.
Quelle: Ronja Goj, Pfarrbriefservice.de
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Einleitungsbild: Martin Manigatterer, Pfarrbriefservice de